Wo die Musik Heimat findet – Rheingau Musik Festival 2025
- Katja Peteratzinger
- 12. Juni
- 7 Min. Lesezeit
Eine Reportage zum Rheingau Musik Festival 2025: Daniel Hope, Heimatgefühl und Wandel
Ein lauer Sommerabend senkt sich über die sanften Weinberge des Rheingaus. Im Kreuzgang von Kloster Eberbach flackern Kerzen an uralten Sandsteinmauern, während die ersten Geigenklänge den mittelalterlichen Hof erfüllen. Draußen duftet es nach Riesling, drinnen wird Musik zur Andacht: In dem beeindruckenden Klang-Raum der Basilika von Kloster Eberbach entsteht eine besondere musikalische Atmosphäre. Gleich am Eröffnungswochenende des Rheingau Musik Festivals 2025 ließ das hr-Sinfonieorchester mit dem MDR-Rundfunkchor und Werken von Ravel, Sarasate und Gounod diesen magischen Ort erstrahlen. Wenige Kilometer weiter auf Schloss Johannisberg blickt man über den Rhein, wo Open-Air-Konzerte im Schlosshof die Dämmerung in Klang tauchen. Das 38. Rheingau Musik Festival verwandelt auch in diesem Sommer malerische Baudenkmäler, Weingüter, Kirchen und Parks in beeindruckende Bühnen für unvergessliche musikalische Erlebnisse. Insgesamt stehen sage und schreibe 154 Konzerte an 27 Spielstätten auf dem Programm – von intimen Liederabenden in alten Weinpressen bis zu großen Orchestern im prunkvollen Kurhaus Wiesbaden. Mehr als 3.200 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt sind zu Gast und doch entsteht in diesen Wochen ein Gefühl von Vertrautheit: ein Sommer voller Musik als Heimat auf Zeit für Künstler und Publikum gleichermaßen.

Die Handschrift des Daniel Hope
Inmitten dieser musikalischen Fülle trägt ein Name in diesem Jahr eine besondere Bedeutung: Daniel Hope. Der weltbekannte Geiger – zugleich Buchautor, Moderator und Kurator – prägt das Festival mit seiner programmatischen Handschrift. Man spürt schnell: Hier ist ein Künstler am Werk, dessen Ideen unerschöpflich sprudeln und dessen Tag mehr als 24 Stunden zu haben scheint. Hope, der seit Jahren dem Rheingau verbunden ist, gestaltet 2025 mehrere Konzerte und Projekte und wirkt maßgeblich an der Dramaturgie des Festivals mit. „Es ist einfach die Liebe zur Musik, die mich von früh bis spät antreibt“ erklärt er dem Rheingau Musik Journal und lässt Taten folgen: In seinem Crossover-Programm „Dance!“ führte Hope im Kreuzgang von Kloster Eberbach das Publikum mit dem Zürcher Kammerorchester quer durch sieben Jahrhunderte Musikgeschichte – vom mittelalterlichen Lamento di Tristano bis zu Duke Ellington – auf der Suche nach den Rhythmen, die Körper und Herz bewegen. Solche kreativen Konzepte tragen Hopes unverkennbare Handschrift: eine Neugier auf Vielfalt und die Freude daran, scheinbar Fernes klanglich zu verbinden. Hope selbst ist kosmopolitisch geprägt – in Südafrika geboren, in London aufgewachsen, mit irisch-deutschen Wurzeln – und so verwundert es nicht, dass er musikalische Grenzen spielerisch überschreitet. In jedem seiner Auftritte spürt man diese Vision: Klassische Musik sei für alle da, ob altehrwürdiger Kanon oder neues Experiment, sagt er. So wird Daniel Hope für das Rheingau Musik Festival mehr als nur ein prominenter Name: Er ist ein Ideengeber, der den „Sommer voller Musik“ mit frischem Geist inspiriert.

Heimatgefühl im Wandel der Klänge
Tradition und Wandel – selten liegen sie so nah beieinander wie im Programm dieses Festivalsommers. Das Rheingau Musik Festival 2025 stellt die Frage, was Heimatgefühl in der Musik bedeuten kann, und gibt vielfältige Antworten darauf. Ein Schwerpunkt ist dem Klang Spaniens gewidmet: Authentisch bringen spanische Musikerinnen und Musiker ihre persönlichen Klangfarben aus ihrer Heimat mit auf die Festivalbühnen. Bei Flamenco-Abenden im Kreuzgang von Eberbach klackern Kastagnetten im alten Gemäuer, feurige Gitarrenklänge erfüllen die Nachtluft – und plötzlich scheint der Süden ganz nah. Selbst Georges Bizets Opernfigur Carmen erhält in gleich neun Konzerten neue Perspektiven – mal mit Orchester und Gesang, mal in überraschenden Arrangements für Brass-Ensemble, Gitarren oder Akkordeon. Hier wird Unbekanntes und insofern "fremdes" heimisch: Die mediterrane Seele sucht und findet ihren Platz zwischen Rhein und Reben.


Doch Heimat hat viele Facetten. Die amerikanische Jazzdiva Dee Dee Bridgewater, Fokus-Künstlerin des Jahres, vermittelt in ihren Auftritten ein Heimatgefühl eigener Art: Ihre Musik erzähle von Sehnsucht und Freude, von Heimat und Fremde, von Tradition und Aufbruch, schreibt Petra Kammann in einem Beitrag auf www.feuilletonfrankfurt.de. Die 73-jährige Sängerin, die als Botschafterin für Frauen im Jazz gilt und sich engagiert im Kampf gegen den Welthunger, schlägt Brücken von den Wurzeln des Blues bis zu modernen Jazzimprovisationen – immer wieder erfindet sie sich neu, ohne ihre Identität zu verlieren. So wird jede ihrer Jazz-Balladen zugleich ein Stück gelebter kultureller Wandlung, ein Dialog zwischen Gestern und Heute.

Auch das Festival selbst spiegelt den kulturellen Wandel wider. Vor 38 Jahren gegründet, um vor allem der klassischen Musik im Rheingau eine Bühne zu geben, hat es sein Spektrum enorm erweitert. Heute gehören Pop-Konzerte im Kurpark und sogar Kabarett-Abende dazu Die Genre-Grenzen verschwimmen, ohne die Wurzeln zu verleugnen. Ein Sinnbild dafür ist Martynas Levickis, ein litauischer Akkordeon-Virtuose, der 2025 als Fokus-Künstler mit sieben Konzerten vertreten ist. Was noch vor einer Generation undenkbar schien ist heute Realität. „Ein Akkordeonist als Fokuskünstler? Passt das zu einem Festival, das sich anfangs der Verbreitung klassischer Musik verschrieben hat?“ diese Frage stellt Petra Kammann in ihrem Beitrag. Levickis beweist, wie wandelbar Tradition sein kann, wenn sie zeitgemäß interpretiert wird. Mit seinem Instrument schlägt er den Bogen von Volksweisen bis zur Avantgarde und zeigt eindrucksvoll, wie Heimatklänge im neuen Gewand erklingen können. Die Botschaft ist klar: Kultur ist lebendig, sie wandelt sich – und genau darin liegt ihre Beständigkeit.

Musik als Anker in unruhigen Zeiten
Während an lauen Festivalabenden die Sektkorken knallen, ist der Welt da draußen das Lachen mitunter vergangen. Pandemie, Krieg in Europa, gesellschaftliche Spannungen – die letzten Jahre waren von Umbrüchen geprägt. Gerade in solchen Zeiten zeigt sich die Rolle der Musik als sozialer Anker. „Vielleicht ist die wahre Krise, wie nachlässig wir mit der Musik und ihrer Vermittlung in den letzten Jahrzehnten umgegangen sind?“, gibt Daniel Hope im Rheingau-Musik-Journal zu bedenken. Provokant fragt er weiter: „Haben wir uns möglicherweise selbst irrelevant gemacht?“ und plädiert dafür, Musik wieder einen zentralen Platz im Leben einzuräumen. Für Hope ist klar: Kultur darf nicht bloß als schmückendes Beiwerk der Gesellschaft gelten. „Die Rolle von Kultur sollte weit über das Wirtschaftliche hinausgehen – ihr Fokus sollte der Wert sein, nicht der Preis“ betont er (Rheingau Musik Journal). In der Musik sieht er – ganz im Geiste seines Mentors Yehudi Menuhin – auch einen Bildungsauftrag: Kunst soll helfen, „Menschen auszubilden, die fähig sind, ein erfülltes und verantwortungsvolles Leben in einer freien Gesellschaft zu verwirklichen“ ... Mit solchen Aussagen erinnert Hope daran, dass Festivals wie das Rheingau Musik Festival mehr sind als sommerliche Unterhaltung: Sie sind Resonanzräume für Werte, für Gemeinschaft und für den Austausch der Generationen.

Tatsächlich setzt das Rheingau Musik Festival immer wieder Zeichen, die über die Musik hinausweisen. So gastiert in diesem Sommer das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim im Rheingau – jenes Orchester, in dem israelische und arabische Musiker seit 25 Jahren gemeinsam musizieren. Gerade jetzt, in einer Zeit neuer Nahost-Konflikte, wird dieses Ensemble zum Symbol: Hier wird Verständigung hörbar. Auch die Nachwuchsförderung steht hoch im Kurs. In der Reihe „Ausgezeichnet!“ präsentieren sich Preisträger internationaler Wettbewerbe – junge Künstlerinnen und Künstler, die frischen Wind und Hoffnung bringen. Musik wird so zum Generationenvertrag: Die Alten geben Erfahrungen weiter, die Jungen neue Perspektiven. Auf den Bühnen des Rheingaus entsteht ein Dialog, der Mut macht in unruhigen Zeiten.

Atmosphären der besonderen Art beim Rheingau Musik Festival
Wein, Kerzenlicht und Musik: Bei der „Steinberger Tafelrunde“ im Weinberg wird das Rheingau Musik Festival zum sinnlichen Erlebnis unter freiem Himmel.

Wer das Rheingau Musik Festival besucht, erlebt nicht nur Konzerte, sondern ganze Stimmungen. Jede Spielstätte hat ihren eigenen Zauber. Im Kloster Eberbach und seinen Mauern – einst Zisterzienserabtei, bekannt aus dem Film Der Name der Rose – liegt sehr viel Nachhall der Geschichte. Wenn dort in der nächtlichen Basilika ein Chor anhebt oder ein Violin-Solo verhallt, scheint für einen Moment die Zeit stillzustehen. Hauptveranstaltungsorte wie Kloster Eberbach, Schloss Johannisberg, Schloss Vollrads und das Kurhaus Wiesbaden prägen den Charakter des Festivals. Schloss Johannisberg, umgeben von Rebzeilen, bietet im Cuvéehof ein Open-Air-Amphitheater mit Blick auf den Rhein. Diese Spielstätte bietet Klassikstars wie Anne-Sophie Mutter oder Hilary Hahn ein spektakuär gebührendes Panorama für deren einzigartige Musikkunst. Die Weingüter der Region verwandeln sich derweil in intime Bühnen: In historischen Kelterhallen oder malerischen Gutshöfen genießt man Kammermusik im Duft von Eichenfässern und Sommerwiesen. Bei der traditionellen Steinberger Tafelrunde – einer langen Tafel mitten im Weinberg – sitzen Künstler und Gäste unter Lichterketten beisammen, während „fahrende Musiker“ von Tisch zu Tisch ziehen. Solche Abende voller Wein, Gespräche und improvisierter Klänge stiften ein Heimatgefühl, das man mit nach Hause nimmt. Es sind Erlebnisse, die zeigen: Hier im Rheingau ist die Musik kein ferner Luxus, sondern Teil der Alltagskultur, verwoben mit Landschaft und Lebensart.

Ein „Sommer voller Musik“ mit Zukunft
Am Ende dieses Festivalsommers wird der Rheingau wieder in Stille versinken. Die Bühne im Kloster wird abgebaut, die letzten Töne verklingen über dem Rhein. Zurück bleiben Erinnerungen an einen Sommer, der klang und verband. Festivalgründer Michael Herrmann – Intendant und Seele der Veranstaltung – hat einmal die Frage gestellt, warum das Rheingau Musik Festival so erfolgreich sei. Seine Antwort darauf lautete es läge in erster Linie am Programm. Doch sei es ist nicht nur das – es seien auch die besonderen Orte und der Sommer selbst ... so wird er jedenfalls bei weltexpresso.de zitiert. Tatsächlich fügen sich Programm, Orte und Sommerfeeling hier zu einem Gesamterlebnis. Die Mischung aus internationaler Spitzenklasse und regionaler Verwurzelung schafft einen Resonanzraum, der die Menschen tief berührt.

Nach fast vier Jahrzehnten ist das Rheingau Musik Festival längst mehr als ein Geheimtipp – es zählt heute zu den größten Musikfestivals Europas und bleibt doch ein Unikat: privat finanziert, herzlich im Ton und ambitioniert im Geist. Die Hoffnung – personifiziert durch Daniel Hope – lebt hier buchstäblich fort. Mit seinem frischen kuratorischen Zugriff und den vielseitigen Konzerten hat Hope dem Festival neue Impulse gegeben und zugleich an dessen ursprüngliche Vision angeknüpft: Musik als Quelle von Freude, Identität und Zusammenhalt.
Wenn am Abschlussabend die letzten Akkorde in der Basilika verklingen, wird sich Wehmut mit Zuversicht mischen. Aber eines ist sicher: "Das Festival, es lebt", resümiert Petra Kammann in ihrer Betrachtung. Und mit ihm lebt auch die Gewissheit, dass im Rheingau auch künftig jeden Sommer ein Stück musikalische Heimat für alle erblüht – ein Ort, an dem Weltklasse-Klänge Menschen zusammen bringen und Seelen wärmen. Und die dadurch als Leuchtturm der Kultur in bewegten Zeiten fungieren.
Autorin: Katja Peteratzinger
Bilder: Pressestelle des Rheingau Musik Festival
Quellen:
Rheingau Musik Festival Pressemappe 2025
Rheingau Musik Festival Journal (rheingau-musik-journal.de)
Pressemitteilung RMF 2025
FeuilletonFrankfurt, Petra Kamann (21.2.2025 - feuilletonfrankfurt.de)
hr-Sinfonieorchester (Eröffnungskonzert) (hr-sinfonieorchester.de)
RMF-Programmheft 2025
Weltexpresso (www.weltexpresso.de)