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Schaukelstuhl-Momente oder anders gesagt: Die besten Geschichten sind hier - Geld allein macht nicht glücklich ... Aber jeder muss das auf seine Weise herausfinden

Aktualisiert: 20. Aug.

Es war einer dieser kühleren Tage, an denen die Luft klar und frisch war, wie ein verheißungsvolles Versprechen auf etwas Neues. Galveston, Texas, USA erwachte langsam an diesem Weihnachtstag, doch das Leben in den Straßen und in den Herzen der Menschen begann bereits auf Hochtouren zu laufen – jeder jagte für sich selbst seinem eigenen, oft unerfüllten Traum hinterher. Ich kam von einer Transatlantik-Kreuzfahrt für das Weihnachtsfest 2007 nach Galveston. Nichts, aber auch gar nichts war im Hotel für mich reserviert für das Weihnachtsfest. Nicht das Dinner am Abend des 24., nicht das Frühstück am folgenden Morgen. Leider. Vor der Weiterreise nach Lampasas weiter im Norden des Landes blieb mir also nichts anderes übrig, als zu improvisieren. Am Weihnachtsmorgen ging ich sehr lange am Strand spazieren, um mir die Zeit bis zur Weiterreise zu vertreiben. Keine Menschenseele war unterwegs. Auf dem Weg zur Landungsbrücke fiel mir allerdings ein älterer Mann auf, in der Mitte eines der Stege. Er stand da ganz alleine und starrte auf den Gulf of Mexico.


Golf von Mexico, Galveston, Texas, USA

Als ich näher kam, bemerkte ich, wie er seinen Kopf in die Hände senkte, Tränen rannen ihm über sein Gesicht. Es war ein Anblick, der mich bewegte und innehalten ließ. Etwas in seiner Einsamkeit sprach mich an, eine leise, aber beharrliche Stimme, die sagte, dass hier mehr verborgen lag, als auf den ersten Blick zu erkennen war.


Bob M., Chef eines eigenen Unternehmens im Ruhestand, an der Seawall in Galveston, Texas, USA. (2007)

Als er mich kommen sah, hob er den Kopf und musterte mich, erst überrascht, dann mit einem schwachen Lächeln, das mehr einem gequälten Zug an den Mundwinkeln glich. Ohne zu zögern, fragte ich, was ihn bedrücke. Doch statt einer Antwort, die ich erwarten könnte, kam nur ein leises „I'm fine. Don't worry“. Es war die Art, wie er es sagte, die mich daran zweifeln ließ – wie jemand, der es sich selbst immer wieder vorsagt, um es irgendwann selbst zu glauben. Aber ich wusste, dass Worte dieser Art selten die ganze Wahrheit verraten. Also stellte ich mich zu ihm und begann zu sprechen, nicht aus einem bestimmten Grund, sondern nur, weil die Stille so schwer war, dass sie nach Worten verlangte.


Ich erzählte ihm von meinem eigenen Schicksal, von den Dingen, die mich nachts wach gehalten hatten, von den Herausforderungen, die ich gemeistert glaubte, nur um sie dann wieder in anderer Form vor mir zu finden. Es war, als würde ich in einem dunklen Raum den Schalter finden, den niemand zu drücken wagte. Während ich sprach, löste sich etwas in ihm, seine Fassade begann zu bröckeln. Tränen, die er vielleicht lange zurückgehalten hatte, brachen hervor.


Dann, in einer Stimme, die von Trauer und Sehnsucht erfüllt war, erzählte Bob mir vom wahren Grund seiner tiefen Traurigkeit. Er berichtete von dem schrecklichen Tag, an dem er seine Frau bei einem Autounfall in Galveston verlor. Ich glaubte, es sei gerade erst geschehen, denn die Details, die er mir erzählte, seine ehrliche Aufregung waren so lebendig, dass man die tiefe Wunde spüren konnte, die dieser Verlust bei Bob hinterlassen hatte. Während er sprach, las ich die Sehnsucht in seinen Augen, mit der er an sie dachte.


Schließlich holte er ein Bild hervor. Es zeigte eine junge Frau in ihren 30ern, mit einem warmen Lächeln, das voller Leben war. Ich starrte Bob an. Der Anblick des Fotos war tief bewegend. Bob erzählte, dass er seit jenem Unfalltag, dem 25. Dezember, jedes Jahr hierher nach Galveston komme, um sich an sie zu erinnern und um ihr nah zu sein.


Möven in der Galveston Bay


Er erzählte mir seine Geschichte, eine, die Parallelen aufwies zu sehr vielen Menschen, denen ich im Laufe meines Berufslebens begegnet bin. Das war schon etwas unheimlich. Er sprach von seiner Kindheit, geprägt von Entbehrungen, von einer Jugend, die in großen Teilen gelenkt war nach dem Willen der Eltern und anderer Bezugspersonen. Er erzählte von dem Versprechen an sich selbst, dass er es als Erwachsener und unabhängiger Business Owner schon anders machen würde, besser, reicher, erfüllter. Doch je mehr er sprach, desto deutlicher wurde, dass Bobs Leben, so wie er es sich erträumt hatte, nicht die Erfüllung gebracht hatte, die er für sich suchte. Und dies, obwohl er auf einigen materiellen Besitz verweisen konnte, wie er jedenfalls sagte.


Und so standen wir dort, inmitten der Szenerie am Golf von Mexiko, zwei Menschen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein konnten, die sich aber doch verbunden fühlten durch das miteinander Sprechen und gegenseitige Zuhören.


Als wir uns verabschiedeten, blieb Bob noch eine Weile stehen, die Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, als würde er etwas Unsichtbares betrachten. Der Raum um uns herum war erfüllt von einer seltsamen Stille, die nur gelegentlich vom Summen eines entfernten Hupens unterbrochen wurde. Vielleicht hatte er in dieser Stille etwas erkannt, das Worte nicht ausdrücken konnten – etwas, das er tief in sich spürte, aber nicht greifen konnte.


Ich ließ ihn dort zurück, ohne weitere Erklärungen oder Fragen. Es gibt Dinge, die jeder für sich selbst herausfinden muss, und manchmal spricht das Unausgesprochene lauter als alles, was gesagt werden könnte. Manchmal braucht es nicht mehr als einen Moment der Einsicht, um zu verstehen, dass die wahren Schätze des Lebens jenseits von Zahlen und Dingen liegen – in einem Raum, den nur das Herz betreten kann.


Welcome to Galveston, Texas

Text & Bilder: Katja Peteratzinger


Das Foto Nr. 2 ist mit Hilfe von Firefly-KI erstellt, da ich aus Respekt vor Bob kein echtes Foto von ihm veröffentlichen wollte. Es handelt sich allerdings um eine wahre Begebenheit aus dem Jahre 2007.


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